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1933 bis 1945

Im Krieg gegen die Wehrlosen

handschriftliche Anstaltschronik
Anstaltschronik 1933
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Die Anstalt in der Zeit von 1933 bis 1945

In der NS-Zeit durchlebte die Anstalt Grafenberg den Tiefpunkt ihrer Geschichte. Der neu gewählte Reichstag beschloss am 24. März 1933 gegen die Stimmen der SPD das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich". Mit diesem so genannten Ermächtigungsgesetz war das Ende der jungen Weimarer Demokratie auch formal besiegelt. Die Gewaltenteilung war aufgehoben und der Reichstag zu einem "Zustimmungsorgan" degradiert worden.

Gedruckter Text mit einem Reichsadlerstempel
Urteil des Erbgesundheitsgerichts September 1933
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Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses

Das "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das am 14. Juli 1933 beschlossen worden war und am 1. Januar 1934 in Kraft trat, bedrohte die Psychiatriepatient*innen. Es entsprach der nationalsozialistischen Ordnungs- und Rassenpolitik. Im Sinne eines biologistischen und sozialdarwinistischen Denkens sollte die Gesundheit des Erbgutes der "Deutschen Rasse" geschützt und gefördert werden. Bei folgenden Diagnosen konnten die Betroffenen auch gegen ihren eigenen Willen sterilisiert werden: angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie, cirkulärem Irresein, erblicher Fallsucht, Chorea Huntington, erblicher Blindheit, erblicher Taubheit, schweren körperlichen Missbildungen, schwerem Alkoholismus.

Die Ausführungsbestimmungen verpflichteten Ärzt*innen, Hebammen oder Anstaltsleiter dazu, bekannte Fälle anzuzeigen. Die Anträge wurden bei einer Geschäftsstelle des Erbgesundheitsamtes, einer Unterbehörde des Amtsgerichts, eingereicht. Das Erbgesundheitsgericht, das aus einem Richter, einem beamteten Arzt sowie einem niedergelassenen Arzt bestand, fällte die Entscheidung. Innerhalb eines Monats konnte dagegen Beschwerde eingelegt werden. Gegen das Urteil der nächsten Instanz, dem Erbgesundheitsobergericht, gab es keine Rechtsmittel mehr.

Das Gesetz erregte kaum Widerstand. Bereits seit dem 19. Jahrhundert waren die ideologischen Weichen in diese Richtung gestellt worden. Die Vererbungslehre fand allgemeine Zustimmung. Geglaubt wurde, dass die soziale Fürsorge die Vererbung von Krankheiten und Behinderungen begünstigt. Immer wieder wurde die Angst geschürt, dass als minderwertig eingestufte Menschen überhand nähmen und die Kosten ihrer Versorgung den Staat ruinierten. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg und das spätere Elend radikalisierten diese Haltung in Deutschland. Schon vor der "Machtergreifung" gab es entsprechende Gesetzentwürfe.

In der Medizin gab es Zweifel an der Vererbbarkeit der im Gesetz genannten Krankheiten. Diese Zweifel verhinderten die Umsetzung jedoch nicht. In Grafenberg begannen im I. Quartal 1934 die Vorbereitungsarbeiten. Vom 1. Januar 1934 bis 30. September 1934 waren 106 Männer und 52 Frauen aus Grafenberg zwangssterilisiert worden. Bis 1937 stieg die Zahl auf 485. Die am häufigsten zu Grunde gelegten Diagnosen lauteten: Schizophrenie (38 Prozent), angeborener Schwachsinn (27,3 Prozent) und Epilepsie (24,5 Prozent).

In einzelnen Fällen versuchten die Grafenberger Ärzte durch Veränderungen der Diagnosen Patient*innen vor dem Eingriff zu bewahren. Offenen Widerstand gab es offensichtlich nicht. Neben den körperlichen Folgen – es gab sogar Todesfälle – litten die Betroffenen auch psychisch sehr. Das Gesetz sprach ihnen das Recht auf Fortpflanzung und eigene Kinder ab. Dies stellte letztlich auch den Wert ihrer eigenen Person massiv in Frage.

abbildung einer Karten mit den Provizialanstalten in der Rheinprovinz
Die Anstalten der Rheinprovinz

Die Krankenmordaktion T-4

Aufgrund der weitgehenden Akzeptanz der Zwangssterilisationen konnten die Nationalsozialisten offen vorgehen. Die nächsten Schritte zur Umsetzung ihrer rassenhygienischen Ideologie vollzogen sich verdeckter. Ab 1939 wurden Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischen Krankheiten erfasst und ausgesondert. Vom Frühjahr 1940 bis August 1941 wurden sie in besonderen Anstalten getötet. Ab 1942 drohte ihnen die Deportation in Anstalten im Osten, die Ermordung durch Gift, überdosierte Medikamente oder systematisches Verhungern lassen in den Anstalten.

Bereits seit Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 waren Psychiatriepatienten ermordet worden, ohne dass eine zentrale Lenkung erkennbar war. So erschoss die SS Patientinnen und Patienten, in Sachsen und in Pommern wurden Kranke vergiftet. Ende Oktober 1939 bevollmächtigte Hitler jedoch seinen persönlichen Arzt und Berater in gesundheitspolitischen Fragen, Karl Brand, und den Leiter der Kanzlei, Philipp Bouhler, Menschen mit geistiger oder psychischer Behinderung ungestraft zu töten. In Berlin in der Tiergartenstr. 4 wurde zu diesem Zweck eine zentrale Organisation aufgebaut, die nach ihrer Adresse T-4 abgekürzt wurde.

Am 6. Juli 1940 trafen Meldebögen der Reichsarbeitsgemeinschaft in Grafenberg ein. 763 dieser Bögen wurden nach Rücksprache mit dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz ausgefüllt nach Berlin zurückgeschickt. Der Zweck der Erfassung sei unklar gewesen. Nach dem Krieg berichtete der Direktor Prof. Dr. Sioli, dass die Anstalt davon ausging, die arbeitsfähigen Patient*innen sollten für die Kriegswirtschaft ermittelt werden. Erst im März 1941 habe Klarheit über den eigentlichen Zweck bestanden. Die Unkenntnis über die Funktion der Meldebögen herrschte nicht überall im Rheinland. Die Anstaltsleitungen des Tannenhofes in Remscheid und Hephatas in Mönchengladbach verweigerten das Ausfüllen der Meldebögen mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass diese der Ermordung von Patient*innen dienten. Nachteile entstanden ihnen daraus nicht.

Je 50 Männer und Frauen umfasste die Liste der T-4-Zentrale, die in Düsseldorf einging. Einige der Kranken wurden vom Transport in die Zwischenanstalt Galkhausen bei Langenfeld am 6. Mai 1941 zurückgestellt. Sie waren bereits entlassen worden, als nicht transportfähig oder als unentbehrlich für die Klinik eingestuft worden, so dass 62 Kranke auf der Liste übrig blieben. Die Patientenakten von 45 dieser Menschen sind erhalten geblieben. Zweifelsfrei steht fest, dass sie in der hessischen Anstalt Hadamar getötet wurden. Über das Schicksal der anderen Patient*innen ist nichts bekannt.

Das Schicksal der jüdischen Kranken

Die Kranken jüdischen Glaubens ereilte bereits im Februar 1941 das gleiche Schicksal. Sie wurden keiner Erfassung unterzogen. Allein ihre jüdische Herkunft war ausschlaggebend für ihre "Verurteilung" zum Tod. Das Reichministerium des Innern ordnete Ende Januar 1941 an, dass alle Anstalten in der Rheinprovinz ihre jüdischen Patienten entweder nach Andernach (südliche Rheinprovinz) oder nach Grafenberg (nördliche Rheinprovinz) zu überführen hätten. Die Jüd*innen aus den nordrheinischen Anstalten blieben für einige Tage in Grafenberg. Am 14. und 15. Februar 1941 wurden sie vermutlich nach Hadamar gebracht. Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Um den Anschein zu erwecken, die Kranken seien in eine Anstalt im Osten verlegt worden, wurden die Sterbeurkunden der Ermordeten von Berlin nach Lublin (Polen) gebracht und von dort verschickt. Fragten besorgte Angehörige in der Anstalt Grafenberg nach, erhielten sie stets die gleiche Antwort: Man wisse nichts.
Die Krankenmorde blieben nicht geheim. In der Bevölkerung kursierten immer wieder Gerüchte, und die Unruhe wuchs. Als die Kirchen öffentlich protestierten, widerrief Hitler den Morderlass. Doch damit war die Gefahr für die Patient*innen nur vorübergehend gebannt.

ein maschinell erstellter Brief auf alten Papier
Anweisungen zur Druchführung von Transporten
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Die Aktion Brand

Düsseldorf und die industriereiche Umgebung waren wichtige strategische Ziele für die Luftangriffe der Verbündeten gegen Nazi-Deutschland. Zum Spätherbst nahmen mit den Angriffen auch die Schäden zu, so dass für Ausgebombte und Verletzte Platz benötigt wurde. Besonders dringlich war es, Ersatz für beschädigte oder zerstörte Krankenhäuser zu suchen. Auch die Psychiatrischen Anstalten wurden als Ersatz in Betracht gezogen. Bereits im Frühjahr 1941 war in Grafenberg ein Hilfskrankenhaus eingerichtet worden, in dem an Scharlach und Tuberkulose erkrankte Kinder Aufnahme fanden. Sie waren vorher in der Rot-Kreuz-Baracke und der Infektionsabteilung der städtischen Krankenanstalten behandelt worden.

Im Juli 1942 verlangte der Gauleiter die komplette Räumung von Grafenberg. Diese Forderung stieß auf den nachdrücklichen Protest der Provinzialverwaltung. Der Erste Landesrat Dr. Kitz und Landeshauptmann Haake protestierten und erreichten einen Kompromiss: 550 psychiatrische Betten waren zu räumen.

Ab 1943 nehmen die Krankenverlegungen, an denen auch die GEKRAT beteiligt ist, im Rahmen der so genannten "Aktion Brand" zu. Am 19. Februar 1943 wurden 297 Männer und Frauen nach Pfafferode gebracht, Transporte nach Erlangen und Altscherbitz folgen. Im Mai 1943 waren bereits 600 Kranke abtransportiert und für 100 weitere bereits Aufnahmeplätze in anderen Anstalten gefunden worden.
Da die Heil- und Pflegeanstalt Grafenberg auch während des Krieges eine hohe Zahl von Neuaufnahmen hatte, waren immer wieder Verlegungen notwendig. Wer als unheilbar krank eingestuft oder bereits lange erkrankt war, war besonders gefährdet. Glaubt man der Schilderung der damaligen Anstaltsleitung, bemühten die Verantwortlichen sich besonders um den Schutz schnell heilbarer Kranker.

Handschriftliche Liste überschrift: Krankenhaussammeltransporte
Die Angaben zu den Deportierten stimmen laut Gutachten mit den tatsächlichen Zahlen überein.
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Das Lewenstein-Gutachten gibt 20 Krankentransporte seit Januar 1943 an. Vier von ihnen gingen zur Anstalt in Meseritz-Obrawalde. Schon damals fiel auf, dass die hierher verlegten Kranken ungewöhnlich oft und schnell starben.

Ob damit alle Transporte erfasst wurden, ist genauso unsicher wie die Zahl der Opfer. Lewenstein ging davon aus, dass zwischen 1940 und 1944 aus der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Grafenberg 757 Männer und 870 Frauen verlegt wurden. Da der Weg der Kranken oft über mehrere Stationen verlief, die nicht dokumentiert sind, ist unbekannt, wie viele Menschen Opfer eines gewaltsamen Todes wurden. Forschungsarbeiten gehen davon aus, dass von 1.433 Patient*innen, die aus dem Rheinland nach Meseritz-Obrawalde gebracht wurden, mindestens 1.070 ermordet wurden. Doch die Tötungen beschränkten sich nicht auf Meseritz-Obrawalde. Eine andere Massentötungsanstalt war Tiegenhof. Aber auch in Hadamar wurden die Krankentötungen bis zum Kriegsende fortgeführt.
Die Kranken waren nicht nur der Bedrohung durch die Transporte in Tötungsanstalten ausgeliefert. Wie bereits im Ersten Weltkrieg gefährdeten Mangelernährung und Hunger ihr Leben. Wie dramatisch die Situation schon 1941 war, belegt die Anstaltschronik: "Die wirtschaftliche Lage ist wesentlich schlechter geworden. Kranke klagen über Hunger und Gewichtabnahmen sind sehr verbreitet. [...] Von den Neuaufnahmen sterben sehr viele in den ersten Tagen oder nach kurzer Zeit, während die alten Anstaltspfleglinge nicht sehr wesentlich absterben."
In den nächsten Jahren verschlechterte sich die Lage weiter. Die Sterberate, die zwischen 1935 und 1936 durchschnittlich bei 6,6 Prozent lag, stieg 1944 auf 20,8 Prozent.

Wie viele Menschen mit geistiger Behinderung oder psychischen Erkrankungen tatsächlich während der NS-Zeit gewaltsam zu Tode kamen, in den Tötungsanstalten oder durch Hunger in Grafenberg selbst, wird sich nicht mehr ermitteln lassen.

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