Direkt zum Inhalt

1923 bis 1933

Die Leiter Johannes Herting und Franz Sioli

Nachdem Josef Peretti in den Ruhestand getreten war, wurde Johannes Herting zum Leiter der Anstalt bestellt. Franz Sioli, der eine Professur in Bonn innegehabt hatte, wurde auf den Lehrstuhl für Psychiatrie berufen. Obwohl beide unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer Arbeit setzten, gelang ihnen eine gute, freundschaftliche Zusammenarbeit zum Wohle der Anstalt. In den nächsten zehn Jahren entwickelte sich Grafenberg kontinuierlich weiter zu einer offeneren Anstalt, die immer mehr Kranke zu versorgen hatte. 1923 waren es erstmals mehr als 1.000 Kranke. Der Anstieg der Krankenzahlen hatte mehrere Ursachen. Die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich. Viele Menschen sahen sich nicht mehr in der Lage, ihre kranken Angehörigen zu Hause oder in privaten Anstalten zu versorgen. Dies führte dazu, dass sie die Kranken verstärkt der öffentlichen Fürsorge anvertrauten. Mit dieser Entwicklung korrespondierte die Reform des Fürsorgerechts im Jahr 1924. Sie verpflichtete die Landesfürsorgeverbände zur "Bewahrung, Kur und Pflege für Hilfsbedürftige, Epileptiker, Idioten und Geisteskranke", sofern sie der Anstaltspflege bedurften. Damit stieg der Kreis der Anspruchsberechtigten.

Die Heil- und Pflegeanstalt hatte seit dem Ende des Ersten Weltkriegs mit der Inflation zu kämpfen. Die Pflegesätze kletterten in astronomische Höhen. Die Provinzialverwaltung suchte Einsparmöglichkeiten und reduzierte deshalb die Zahl der vier Verpflegungsklassen. Nachdem bereits 1920 die 1. Klasse in Grafenberg weggefallen war, wurden seit 1923 nur noch zwei Klassen voneinander unterschieden, die 1. und 2. Klasse genannt wurden.

schwarz/weiß Gruppenbild von Krankenschwestern in damaliger Dienstkleidung
Pelman Fest zum 50-jährigen Jubiläum

Trotz der wirtschaftlichen Erschwernisse konnten die Baumaßnahmen, die durch den Ersten Weltkrieg zum Stillstand gekommen waren, wieder aufgenommen und zu Ende geführt werden. 1926 präsentierte sich die Anstalt zum 50. Jubiläum in ihrer baulichen Konzeption wie in der therapeutischen Ausrichtung als eine moderne Einrichtung. Zu gleichem Zwecke beteiligte sich Grafenberg auch an der "Großen Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Fürsorge und Leibesübungen", kurz GeSoLei, die im selben Jahr auf dem Messegelände in Düsseldorf ausgerichtet wurde.

schwarz/weiß Bild von vielen Männer die an einem Tisch sitzen und sich Beschäftigen
Beschäftigung im Zimmer

Johannes Herting

Johannes Herting wurde am 6. Februar 1863 in Schleswig geboren. 1888 legte er in Kiel das erste Staatsexamen ab und promovierte im selben Jahr. Seine Volontärzeit absolvierte er an der Provinzialanstalt in Schleswig und wechselte 1889 für die folgenden zehn Jahre an die Anstalt Altscherbitz. 1899 übernahm er als Direktor die Leitung der neugegründeten Provinzialanstalt in Galkhausen (heute Langenfeld). Als diese geschlossen wurde, wurde er als Direktor nach Grafenberg berufen. 1930 trat er freiwillig in den Ruhestand. Johannes Herting war ein großer Verfechter der Öffnung der psychiatrischen Anstalten. Der Einsatz für die Familienpflege und den psychiatrischen Hilfsverein als Teil der aufklärenden und offenen Fürsorge ging mit diesem Anliegen einher. Neuen Behandlungsmethoden stand Herting sehr aufgeschlossen gegenüber. So weitete er auch in Grafenberg die Arbeits- und Beschäftigungsmöglichkeiten für die Patientinnen und Patienten stark aus. Herting knüpfte dabei an seine Erfahrungen als Leiter der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Galkhausen an und ließ sich zudem von der „aktiveren Krankenbehandlung" Hermann Simons inspirieren. Simon war es gelungen, auch unruhige und bislang als störend empfundene Kranke in den Arbeitsprozess einzubeziehen, was vordem nicht üblich war. Die Arbeit wirkte sich positiv auf die Kranken aus. Sie wurden ruhiger und wirkten koordinierter.

Herting war von Simons Arbeit beeindruckt: "Er hat wie viele andere erkannt, dass in den letzten Jahrzehnten, besonders durch die übertriebene Anwendung der Bettruhe und der Dauerbäder eine Art Trägheit eingerissen war, dass es für Ärzte und Personal notwendig war, wieder in engere, wärmere Beziehungen zu den Kranken zu kommen. Simon hat uns gezeigt, dass es notwendig und möglich ist, in den Kranken wieder die Persönlichkeit zu sehen, nicht nur ein Objekt, mit dessen Körperpflege und Abfütterung die tägliche Arbeit erledigt ist." Hertings wissenschaftliches Interesse galt vor allem der Psychiatriegeschichte. So veröffentlichte er Biografien über Maximilian Jacobi und Friedrich Hoffmann.

Schwarz/weiß Bild von einem Arzt und einem Krankenpfleger die vor einem sitzenden Patienten stehen der seinen Arm nach vorne hält
Malaria-Therapie um 1929

Franz Sioli

Sioli wurde am 13. März 1882 im schlesischen Leubus geboren. Nach dem Medizinstudium arbeitete er zunächst in der Irrenanstalt seiner Geburtsstadt und in der Universitätsklinik in Halle an der Saale. Sioli wechselte 1908 an die Provinzial Heil- und Pflegeanstalt Bonn und ein Jahr später an die Anstalt in Galkhausen. 1911 kehrte er nach Bonn zurück und wurde hier 1914 zum Oberarzt ernannt. Hier blieb er bis zu seiner Berufung nach Grafenberg im Juli 1923. Als Herting in den Ruhestand trat wurde Sioli zum Direktor der Klinik ernannt.

Siolis Hauptinteresse galt der naturwissenschaftlich ausgerichteten Psychiatrie. Hervorzuheben sind seine Arbeiten über die Behandlung der progressiven Paralyse, eine Folgeerscheinung der Syphilis. Für die Psychiatrie war dies von großer Bedeutung, da Syphilis vor Entdeckung der Antibiotika nur schwer zu behandeln war. Entsprechend groß war der Kreis der an progressiver Paralyse Erkrankten. Sioli hatte bereits 1906, ein Jahr nach Entdeckung des Syphiliserregers, in seiner Doktorarbeit "Über Spirochaete pallida bei Syphilis" zeigen können, wie sich die Syphiliserkrankung auf die organische Gehirnerkrankung der progressiven Paralyse auswirkt. Das 1909 von Paul Ehrlich entwickelte Medikament gegen die Syphilis, das Salvarsan, sowie die von Walter von Jauregg entwickelte Malaria-Theraphie, setzte Sioli gegen die Progressive Paralyse ein. Den Kranken wurden Malariaerreger injiziert, um ein hohes Fieber zu erzeugen. Nach ein paar Tagen wurde die Malaria mit einem Gegenmittel "coupiert". Sioli hat einige dieser Mittel, wie das Plasmochin und das Atebrin, in Kooperation mit dem Konzern I. G. Farben selbst erforscht. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeiten Siolis war die Epilepsieforschung. Auf ihn geht der Begriff der funktionellen Epilepsie zurück, für die er die Psychotherapie empfahl. Sioli starb 1949.

Historisches Foto: Front der Satzung der medizinischen Akademie in Düsseldorf
Satzung vom 31. Januar 1931

Von der Medizinischen Akademie zur Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Die "Akademie für Praktische Medizin" wurde 1907 in Düsseldorf errichtet. An ihr konnten Medizinstudenten das seit 1903 vorgeschriebene praktische Jahr absolvieren. Die Akademie diente zudem der Facharztausbildung, der allgemeinen medizinischen Fortbildung und bildete in Krankenpflege aus. Durch die Kooperation mit der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Grafenberg konnte die Akademie auch ihre Verpflichtungen im Bereich der Psychiatrie abdecken. Der damalige Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Josef Peretti lehrte hier zunächst als Dozent und ab 1912 als Professor.

schwarz/weiß Bild einer Frau die gebuegt über einer Großen Schüssel steht
Mückenzucht um 1933; sie wurde mit industrieller Unterstützung zur größten Mückenzucht Europas

Nach zähem Ringen gelang es 1923, die "Akademie für praktische Medizin" in eine "Medizinische Akademie "mit dem Recht der klinischen Ausbildung von Student*innen aufzuwerten. Dies regelte ein Vertrag, der am 24. Februar 1923 zwischen der Stadt Düsseldorf und dem Preußischen Staat, vertreten durch den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, abgeschlossen wurde. Die Akademie umfasste bei ihrer Gründung 14 Lehrstühle: Chirurgie, Innere Medizin, Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Haut- und Geschlechtskrankheiten, allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie, Hygiene und soziale Medizin, Physiologie und Biochemie, Pharmakologie, topographische Anatomie, gerichtliche Medizin und Psychiatrie.

Die Verbindung zwischen der Akademie und der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt wurde weiter vertieft. Hierzu schlossen am 1. April 1923 die Stadt Düsseldorf und der Provinzialverband Rheinland einen zusätzlichen Vertrag ab. Er legte die Bedingungen fest, unter denen der Provinzialverband die Anstalt für den klinischen Unterricht der Medizinischen Akademie zur Verfügung stellte. Im Gegenzug verpflichtete sich die Stadt, einen monatlichen Betrag für die Nutzung der Räume, die Einrichtung und Unterhaltung der Laboratorien zu zahlen. Der Ordinarius für Psychiatrie und Nervenheilkunde sollte vom Provinzialverband benannt und besoldet werden. Die Berufung hatte durch den Minister „im Einvernehmen mit dem Provinzialverband" zu erfolgen. In erster Linie sollten geeignete Ärzt*innen aus den Rheinprovinzen berücksichtigt werden.

Die Verflechtung zwischen beiden Institutionen drückte sich auch in der Namensgebung aus: Seit 1923 führte Grafenberg zusätzlich den Namen Psychiatrische und neurologische Klinik der Medizinischen Akademie. Heute heißt die Klinik: LVR-Klinikum Düsseldorf-Kliniken der Heinrich-Heine Universität.

Schwarz/weiß Bild von eineigen Ärzten die um eine Krankenbett herum stehen. einige halten Klemmbretter
Klinische Visite um 1929

Von der Zusammenarbeit profitierten beide Vertragspartner. Die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt wurde an die wissenschaftliche Forschung und Lehre der Akademie angebunden. Für die Medizinische Akademie erleichterte die große Zahl der Patientinnen und Patienten die Fortentwicklung und Überprüfung psychiatrischer und neurologischer Theorien. Die Kooperation erwies sich über die Jahrzehnte als fruchtbar. Dies dokumentiert sich auch darin, dass 1977 ein zweiter Lehrstuhl für Psychotherapie und Psychosomatik eingerichtet wurde. Bis heute wird der Vertrag regelmäßig fortgeschrieben und vom Landschaftsverband Rheinland als Rechtsnachfolger des Provinzialverbandes und dem Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalens als Träger der Universität unterzeichnet.

Historisches Foto: Gruppenbild von 13 Personen
Franz Sioli und Johannes Herting mit Kolleginnen und Kollegen um 1929
Bild-Großansicht

Der erste Lehrstuhlinhaber, Franz Sioli, hatte in der Anstalt zunächst nur die Funktion eines Oberarztes. Die Leitung der Anstalt oblag dem Direktor Johannes Herting. Diese Funktionsteilung, die die Trägerschaft des Provinzialverbandes betonte, wurde mit dem Ausscheiden Hertings 1930 für die Amtszeit Siolis bis 1947 ausgesetzt. Erst 1955 hatte Friedrich Panse beide Ämter wieder in Personalunion inne. 1956 wurde die Regelung getroffen, dem Ordinarius und zugleich Leitenden Direktor einen weiteren "Direktor" an die Seite zu stellen. Dieser hatte die Belange des Krankenhauses wahrzunehmen. In der Praxis bewährte sich diese Neuregelung nicht. Das Krankenhausgesetz des Landes NRW vom 25. Februar 1975 führte ein gleichberechtigtes Leitungsgremium ein, das aus dem Leitenden Arzt, der zugleich Ordinarius ist, dem Verwaltungsleiter und dem Pflegedienstleiter besteht.

Unter Franz Sioli wurde die Psychiatrische Klinik der Medizinischen Akademie zu einem Zentrum neurologisch-psychiatrischer Forschung ausgebaut. Aktuell verdeutlichen die vielen bestehenden Arbeitsgruppen die Weiterentwicklung der Psychiatrie und Psychotherapie. Grafenberg ist Teil des internationalen Wissenschaftsverbundes geworden. Die ersten Wurzeln hierfür wurden 1923 gelegt.

Zertifikate und Mitgliedschaften

Instagram
facebook
YouTube

LVR-Klinikum Düsseldorf

Bergische Landstraße 2

40629 Düsseldorf

Telefon: 0211 922-0

Telefax: 0211 922-1010

E-Mail: klinikum-duesseldorf@lvr.de